Moriturus T. Salutat – salutatio #06
Gedanken zum Allerseelentag
Für die einen ist er die Zumutung schlechthin, für die anderen der Moment der Erlösung, gar nicht so wenige sehen ihn auch als den Beginn eines neuen, vielleicht sogar des eigentlichen Lebens: der Tod beschäftigt uns Menschen oft ein Leben lang, mindestens aber in den Momenten, wo er uns durch Ereignisse im Umfeld, durch Katastrophen, von denen uns die Medien berichten, oder durch ganz persönliche Schicksalsschläge, die uns durch Krankheit oder Unfall ereilen, bewusst wird.
In den anderen Phasen unseres Lebens versuchen wir ihn soweit wie möglich von uns fern zu halten, zu verdrängen oder gegen ihn anzukämpfen, in dem wir dazu beitragen, dass Menschen möglichst lange leben, inklusive Unsterblichkeitsphantasien. Wenn wir uns aber der eigenen Endlichkeit ganz bewusst stellen, dann können wir eine nicht gekannte Freiheit erreichen, nämlich die Befreiung von der so oft allgegenwärtigen Todesangst.
Tatsächlich ist dies aber eine Übung, die wir nirgendwo und von niemandem lernen, außer wir machen uns auf die Suche nach den Lehrmeistern dieser Disziplin. Diese sind nicht bloß im Außen zu finden, sondern mit einiger Geduld ganz sicher im Inneren. Das wiederum verlangt Zeit, aber auch Mut. Es verlangt auch Fokussierung auf die unumstößliche Tatsache, dass wir eines Tages sterben werden. Wer Ängste nicht wegschiebt, sondern ihnen, wenn sie auftauchen, die volle Aufmerksamkeit widmet, wird – so sagt man – Furchtlosigkeit erreichen. Sogar im Angesicht des unausweichlichen Todes.
Unsere Gesellschaft bietet uns für den Weg, uns auf das eigene Sterben und das Ende unseres Lebens vorzubereiten, keine Zeit. Wir werden möglichst lange im Erwerbsarbeitsprozess gehalten, wir können jeder Menge Ablenkung frönen – Stichwort: Brot und Spiele – und wir werden auch noch in den so genannten Pensionsjahren als Konsumenten auf Trab gehalten sowie als Beispiel für den Fortschritt der Schulmedizin so lange wie möglich am Leben erhalten.
Zudem hat es zumindest den Anschein, dass wir trotz der bloß rund acht Lebensjahrzehnte, die wir in unseren westlichen Gemeinschaften durchschnittlich erleben, ständig darum bemüht sind, einander das Leben so schwer wie möglich zu machen. Schaut man sich Entscheidungen, die wir treffen oder die von anderen, wie Politikern, Ärzten, Gurus u.v.a.m. für uns getroffen werden, dann ist dieses Muster zu entdecken: viel zu oft leben wir auf Kosten von anderen – und werden daher auch selbst zu Menschen, denen solche Kosten von anderen aufgebrummt werden. Kriege sind eines der augenscheinlichsten Beispiele dafür; die gibt es aber auch im ganz Kleinen, Persönlichen. Immer dort, wo ein Konflikt nicht konstruktiv bearbeitet wird, wo das Recht-haben-Wollen damit einher geht, dass wir andere verletzen oder gar vernichten, beginnt das Unheil zu wachsen, das uns allen das kurze Leben schwer macht.
Warum sind wir nicht längst darum bemüht, uns das Leben gemeinsam unbeschwert und schön zu machen? Warum sind wir nicht längst darum bemüht, die vielen Baustellen, die diese Welt uns bietet, unter Berücksichtigung von Situation und Person zu bearbeiten und den Versuch zu unternehmen, auf diese Weise allen und allem gerecht zu werden? Warum sind wir nicht längst darum bemüht, uns als kleiner Teil einer großen Gemeinschaft zu sehen, dessen Handeln im Kleinen eine Wirkung auf das große Ganze hat?
Der ungeschönte Blick auf das bevorstehende Ende unseres Lebens wird uns beim Finden von Antworten ein wichtiger Impuls sein. Unabhängig von dem, welche Vorstellung wir von dem haben, was uns nach dem Tod erwartet, Himmel oder Hölle, Nirwana oder Nichts, gilt es uns dem Leben zu widmen, das wir gerade leben. Dieses gibt es nur einmal. Und wir, die wir in unseren Breiten noch das große Glück haben, unter Lebensumständen leben zu dürfen, die Reflexion erlauben, haben die Verpflichtung, diese Möglichkeit zu nutzen und sie durch unser verändertes Da-Sein in die Welt zu bringen.
Zeiten des Umbruchs, wie wir sie gerade erleben, die den Tod an unsere Haustür bringen, sind Zeiten der Katharsis, der Läuterung. Wir leben gerade in einer sich zum Höhepunkt entwickelnden Tragödie, deren Ziel eben jene Umkehr ist. Glücklicherweise gibt es den Tod, der ermöglicht uns die Hybris hinter uns zu lassen. Der Tod steht uns nämlich sehr gut, wenn wir ihn denn nur endlich den ihm gebührenden Platz in unserem endlichen Leben einräumen.
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