FreiSein mit der immerwährenden Neutralität
Text von Daniela Lupp
Jedes Jahr am Österreichischen Nationalfeiertag, dem 26. Oktober, feiert unser Land seine immerwährende Neutralität.Wir erinnern uns dabei an den legendären und unvergessenen Satz von Außenminister Leopold Figl vom Balkon des Oberen Belvederes: „Österreich ist frei!“ – gesprochen anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955. „Es gibt bis heute keinen Moment in der 80-jährigen Geschichte der Zweiten Republik, der so viele Emotionen wie dieser hervorgerufen hat. Die Menschen damals standen nicht nur dicht gedrängt im Garten des Belvedere, sondern auch auf den Straßen der Stadt. Fernsehen gab es noch keines. Keiner wollte an diesem strahlenden Frühlingstag einfach zu Hause bleiben, sondern in der Nähe des Ereignisses sein.“ (Die Presse) – ein Ereignis, das heute noch das österreichische Herz mit Stolz erfüllt. Der 26. Oktober war der Tag, an dem keine fremden Truppen mehr auf österreichischem Hoheitsgebiet sein durften und an dem der Nationalrat
das Neutralitätsgesetz beschloss.
Was bedeutet die immerwährende Neutralität?
Auf der Parlaments-Website heißt es: „Neutralität kann man auch als „Unparteilichkeit“ eines Staates bezeichnen. Das gilt besonders bei internationalen Konfliktfällen. In einem bewaffneten Konflikt leistet ein neutraler Staat keine direkte oder indirekte militärische Unterstützung. Ein neutraler Staat darf zum Beispiel keine Waffen an die Konfliktparteien liefern. Der neutrale Staat tritt auch nicht als aktive Partei in den Konflikt ein. Die Neutralität betrifft vor allem militärische Angelegenheiten.“
Neutralität wird durch das Bundesheer repräsentiert?
Wer an diesem Feiertag durch Wiens Innenstadt spaziert, sieht jedoch kein bescheidenes Gedenken an Frieden und Unabhängigkeit, sondern eine beeindruckende Militärpräsenz: Panzer werden präsentiert, Soldaten marschieren im Gleichschritt, Kampfflugzeuge donnern über die Dächer. Die militärische Parade am 26. Oktober wirkt wie ein Relikt aus einer
anderen Zeit – ein Ritual, das mehr mit nationaler Selbstdarstellung als mit Frieden zu tun hat. Wenn Österreich seine Neutralität ernst nimmt, sollte es diese wirklich mit Panzern und Marschmusik feiern? Ein offensichtlicher und doch viel zu wenig diskutierter Widerspruch, der eine berechtigte Frage aufwirft: Passt eine militärische Schau zum Geist der Neutralität?
Wozu dient das Bundesheer in einem neutralen Staat?
Die Präsenz des Bundesheers am Nationalfeiertag wird als Ausdruck staatlicher Souveränität und Sicherheitsfähigkeit interpretiert. Doch das Heer dient nicht nur der Landesverteidigung bzw. Grenzsicherung, sondern übernimmt auch humanitäre und zivile Aufgaben. An letzteres wurde vor allem im Jahr 2013 über die Medien tüchtig erinnert, als es zur Volksbefragung
über die Wehrpflicht kam. Diese Vermengung „der militärischen Landesverteidigung mit sozialen Dienstleistungen“ sowie fehlende „Alternativen zum Militär“ haben – wie des Öfteren medial kommuniziert wurde – womöglich das Ergebnis dieser Befragung maßgeblich beeinflusst. Die Mehrheit der teilnehmenden Bevölkerung stimmte für die Aufrechterhaltung von Wehrdienst und Zivilschutz – nicht wegen der militärischen Rolle des Heeres, sondern wegen seiner zivilen Einsatzbereitschaft.
Die gesellschaftliche Akzeptanz des Bundesheers gründet also auf seinen zivilen Beiträgen – nicht auf Waffen, Panzern oder militärischen Paraden. Die zivilen Leistungen des Bundesheers – etwa beim Katastrophenschutz oder in der Pflege – sind zweifellos wertvoll. Doch diese Aufgaben könnten genauso gut von zivilen Organisationen, Freiwilligen oder spezialisierten Rettungsdiensten erfüllt werden – ohne Schießausbildung, Befehlsstrukturen oder militärische Symbolik. Warum muss man schießen lernen, um bei einem Hochwasser Sandsäcke zu füllen? Die hervorragend funktionierende freiwillige Feuerwehr in Österreich zeigt eindrücklich – die Menschen wollen helfen und melden sich auch ohne Zwang – sogar ehrenamtlich.
Die EU-Mitgliedschaft und die schleichende Aushöhlung der Neutralität
Die militärische Inszenierung am österreichischen Nationalfeiertag soll nationale Eigenständigkeit demonstrieren, die seit dem EU-Beitritt faktisch nicht mehr gegeben ist. Bereits der Vertrag von Maastricht enthielt eine gemeinsame Sicherheitspolitik, die auch eine gemeinsame Verteidigungspolitik vorsah. Der Rechtswissenschafter Theo Öhlinger weist darauf hin, dass die österreichische Neutralität seit dem EU-Beitritt nur mehr formal vorhanden sei. Und auch diese wird – wie uns derzeit eindrücklich gezeigt wird – immer mehr ausgehebelt.
Militärische „Sicherheit“ – Friedenszeichen oder Ausdruck von Angst?
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die Annahme, dass militärische Präsenz ein Zeichen von Frieden oder Stabilität sei. Doch wirken solche „Sicherheitsstrategien“ wirklich wie ein Angebot des Vertrauens? Oder vielmehr wie ein Ausdruck tief verwurzelter Angst? – Angst vor Bedrohung, vor Verletzlichkeit, vor dem Verlust von Kontrolle. Entsteht Frieden durch Abschreckung? Oder durch Vertrauensbildung, Diplomatie und die konsequente Vermeidung von Gewalt?
Island – ein Land
ohne eigene Streitkräfte, zeigt, dass nationale Sicherheit auch ohne militärische Aufrüstung gewährleistet werden kann. Dennoch besitzt das „Land aus Feuer und Eis“ einen eindrucksvoll funktionierenden Katastrophenschutz: „Die Notfallplanung
erfolgt durch die Polizei, Feuerwehr, Rettungsteams, das Gesundheitsministerium, die Küstenwache, das Rote Kreuz und andere
gemeinnützige Organisationen und Mitarbeiter der lokalen Behörden.“
„Alle irdische Gewalt beruht auf Gewalttätigkeit.“
– zeitlose Worte der österreichischen Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach. Jedes Heer bleibt ein Instrument der Gewalt, das – sobald es sichtbar wird – zwangsläufig auch als potenzielle Bedrohung wahrgenommen werden kann. Denn Gewalt provoziert Gegengewalt. Ein Land, das sich friedlich gibt, strahlt nicht durch Panzer, sondern durch Offenheit, Solidarität und die Bereitschaft, Konflikte ohne Waffen zu lösen. Gerade in einer Zeit globaler Unsicherheit wäre es mutig – und authentisch neutral –, nicht mit Stärke zu drohen, sondern mit Menschlichkeit zu überzeugen.
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