Nun ist es soweit. Ausgabe #01 meiner neuen Kolumne „Zur Zeit“ erblickt das Licht der Welt. Und wie es der Obmann von Idealism Prevails, Hermann Böhm, der die gleichnamige unabhängige Medienplattform betreibt, für die ich rund ein Jahr lang Chefredakteur war und bei der ich weiterhin in der Redaktion an Bord bin, so treffend ausgedrückt hat, ist es tatsächlich wieder einmal Zeit, mich neu zu erfinden. Es gilt in Zeiten wie diesen, in denen Alarmismus und Perspektivenlosigkeit herrschen und die Maßnahmen hervorbringen, die gerne als „alternativlos“ bezeichnet werden, einen Kontrapunkt zu setzen.
Wenn das Gute nicht zu finden ist, dann müssen wir es eben erfinden.**** Aber nicht in dem Sinn, dass wir uns tagtäglich alles Schön reden und alle zu kleinen Münchhausens werden; sondern ganz im Gegenteil im Geiste der großen Erfinder der Weltgeschichte, die mit ihren Ideen tatsächlich Neues erfunden haben. Geprägt war deren Leben als Pioniere nicht selten von mangelnder Anerkennung und sogar von himmelschreiender Ablehnung, sie wurden oft auch als Verrückte bezeichnet: Ver-rückt im Verständnis der gesellschaftlichen Normalität, also der Normen, die zu ihren Lebzeiten galten. Dabei ist es doch im Nachhinein betrachtet in so gut wie allen Fällen deutlich geworden, dass die aus ihrer Mitte Gerückten nicht diese Erfinder waren, sondern die Gesellschaft dieser Epochen, die nicht mehr sich selbst vertraut, sondern die Macht in die Hände von vermeintlichen Heilsbringern und Scharlatanen gelegt haben. Das sich diese traurigen Ereignisse gerade wiederholen, daher zwar vergleichbar, aber niemals mit dem, was schon einmal war, gleich zu setzen sind, braucht unsere Welt dringend Erfinder.
Und jeder von uns kann ein solcher sein.
Machen wir die Probe aufs Exempel. Ich treffe in den nächsten Absätzen eine Auswahl an Ereignissen, die mich in den letzten Wochen bewegt haben und versuche dazu jeweils eine Perspektive zu (er)finden – meine Perspektive. Jede Leserin, jeder Leser ist herzlich eingeladen, diese (Er)Findungen als Impuls und Inspiration zu sehen, die jeweils eigenen hinzuzufügen. Im Idealfall entsteht ein buntes Mosaik von Ideen und eine Sammlung von sogar bereits verwirklichten (Gegen-)Modellen zu aktuell vorherrschenden Antworten, die uns andere vorgegeben haben. Also, auf geht’s.
Subsidiarität & Solidarität statt Aufrüstung
Anlässlich des bevorstehenden Nationalfeiertags am 26. Oktobers, an dem auch der 70. Geburtstag des Österreichischen Bundesheeres gefeiert wird, kommt man nicht an Diskussionen zu Neutralität und „Aufrüstung“ vorbei. Eine These dazu lautet: Um die Neutralität zu erhalten, braucht es ein starkes Militär. Eine andere lautet: Die Neutralität ist unsolidarisch und daher obsolet, die EU braucht auch Österreich für gemeinsame Militäraktionen. Meine Idee: Zeigen wir der Welt, wie Konflikte nicht-militärisch gelöst werden können und nutzen wir unsere durch die Neutralität gegebene Unabhängigkeit auch politisch und diplomatisch, um in internationalen Konflikten zeitgerecht und erfolgreich, nämlich vor einem möglichen Kriegsausbruch, zu vermitteln. Schaffen wir das Bundesheer ab und nutzen wir die Mittel zum Aufbau einer lebenswerten Gesellschaft, in der es allen gut geht, weil jeder das bekommt, was seiner Person und seiner Situation gerecht wird. Leben wir die in der christlichen Soziallehre, aber eigentlich ganz religions- und ideologiefrei zutiefst menschliche Haltung der Subsidiarität. Lassen wir den Menschen ihre Eigenverantwortung und springen wir ihnen – auf deren Wunsch – dort bei, wo sie alleine nicht zu Rande kommen. Auf diese Weise – und nur auf diese Weise – zeigt sich die zuletzt ständig mit falschen Zuschreibungen missbrauchte Solidarität, die keineswegs zu Vergewohltätigung (Zitat Betrand Stern) führen darf. In einer solchen Gemeinschaft lohnt es sich auch wieder Kinder in die Welt zu setzen und damit den Erhalt der Gesellschaft zu garantieren.
Kinder als gleichwürdige Subjekte betrachten und behandeln
Apropos Kinder: Die viel zu oft als Objekte behandelten jungen und jüngsten Menschen leiden ganz besonders unter den seit Jahren, wenn nicht schon seit Jahrzehnten herrschenden Verhältnissen. Und sie zeigen uns durch ihr – aus unserer Erwachsenensicht – zunehmend auffälliges Verhalten und die daraus von Medizinern und Psychologen konstatierten Krankheitsbilder, was mit unserer Welt nicht stimmt. Wir sollten ihre Botschaften ernst nehmen und unser (Zusammen-)Leben neu aufsetzen. Wer in der Wirklichkeit keine bewältigbaren Aufgaben findet, wer keine Träume zu Zielen und jugendliche Utopien zu Visionen machen darf, wird die virtuelle Welt nutzen, um sich zu bewähren. Die Helden von morgen gehen dabei aber verloren. Wer sich durch die Umwelt ständiger Reizüberflutung (und damit meine ich nicht in erster Linie die virtuelle, sonder das allgemeine Tempo in unserer Zeit und die vielen Eindrücke im Außen wie u.a. Verkehr, Verstädterung, Leistungsdruck in den Bildungseinrichtungen) ausgesetzt sieht, wird zappelig und unkonzentriert (wir nennen das dann ADS oder ADHS und haben Medikamente wie Ritalin, mit denen wir die Unruhigen ruhig stellen) oder zieht sich in die eigene Welt zurück und wir unnahbar (wie sich in der steigenden Zahl von diagnostizierten „Störungen“ des Autismusspektrums zeigt). Ja, diese Auffälligkeiten stören, weil sie auch verstören. Die Antwort ist einfach, die Umsetzung komplexer. Fahren wir unser Tempo zurück, wie es sich der in den 1990er-Jahren gegründete Verein zur Verzögerung der Zeit auf die Fahnen geschrieben oder wie es Michael Ende in seinem bemerkenswerten Märchen für Erwachsene „Momo“ bereits in den 70ern beschrieben hat. Unterstützen wir jene, die Kindern das Leben schenken wirklich existenzsichernd und professionell. Lassen wir auch von der Schule unabhängige selbstbestimmte Bildungswege zu. Bieten wir Bildungseinrichtungen, die wirklich dem Recht auf Bildung gerecht werden und nicht alle zu gleichförmigen funktionierenden und gefügigen Staatsbürgern machen.
Das Schreckliche benennen und nicht verstecken
Mit diesen Schritten lässt sich die Gruppe jener jungen Menschen reduzieren, die aufgrund nicht akzeptabler Lebensbedingungen außerhalb ihrer Familie begleitet werden müssen. Damit wird auch jenen das Handwerk gelegt, die ihr Autoritätsverhältnis missbrauchen und auch in der heutigen, angeblich so aufgeklärten Zeit Kindern und jugendlichen seelische, körperliche oder gar sexuelle Gewalt antun. Die kürzlich medial aufgetauchten Vorwürfe in SOS-Kinderdörfern in Österreich, die sogar dessen unantastbaren und bislang hochgeschätzten Gründer Hermann Gmeiner in Verruf zu bringen im Stande sind, sind ein weiteres Warnsignal, dass wir den jüngsten Mitgliedern unserer Gesellschaft nicht das bieten, was sie zum Aufwachsen brauchen. Einrichtungen und Institutionen der Kinder- und Jugendhilfe neigen wie übrigens auch jegliche institutionalisierte Bildungseinrichtungen zu struktureller Gewalt. Daher kann in ihnen auch niemals Demokratie gelernt werden, sondern nur eine verkrüppelte, wenn nicht sogar pervertierte Form. Da gilt es anzusetzen, um all jene Schrecklichkeiten zu vermeiden.
Noch ein Wort zu den Vorwürfen an den Gründervater der SOS-Kinderdörfer und deren Handhabe: Aufarbeitung und Reform ist gut, das Problem muss aber an der Wurzel gepackt und daher radikal im oben beschriebenen Sinn verändert werden. Da sind aber nicht nur diese Einrichtungen gefordert, das muss zum Anliegen von Politik und Gesellschaft werden. Gmeiner alle Ehren, Titel und Straßennamen postum abzuerkennen, ist sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Damit wir dieses dunkle Kapitel bloß aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Sein Name muss der Öffentlichkeit aber offiziell bekannt bleiben und seine Denkmäler mit Zusatztafeln als Mahnmale für eine bessere Gesellschaft erhalten werden. Auch zum Zeichen, dass wir alle zum Schutz der Jüngsten aufgefordert sind.
Freiheit der Bildung statt Sicherheit & Bestrafung
Nochmals zurück zum österreichischen Bildungssystem: Da wird derzeit hauptsächlich um Sicherheit debattiert, da gab es vor Schulbeginn sogar eine gemeinsame Pressekonferenz von Innen- und Bildungsminister. Letzterer setzt derzeit auch auf die Bestrafung jener, die die Schulpflicht verletzen. Aber auch die Eltern von „widerspenstigen Kindern“ in niederösterreichischen Kindergärten sollen einem Bericht nach zur Kasse gebeten werden. Das gilt übrigens auch für jene, die den im Staat Verantwortlichen gegen den Strich gehen. Der Polizeieinsatz im Peršmanhof in Kärnten war großteils rechtswidrig, die von den zuständigen Behörde kolportierte Situation war nicht gegeben, vielmehr ging es der Untersuchungskommission nach um das Feststellen der Identität der Teilnehmer am „linken“ Protestcamp an der NS-Gedenkstätte. Der Innenminister wiegelt mit einer Relativierung ab, in dem er den Bericht zitiert, der Einsatz wäre in Teilen rechtswidrig gewesen. In diesen und allen ähnlich gelagerten Fällen gilt es zu den Grundsätzen der Menschenrechts- bzw. Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zurück zu kehren, die hier eine klare Haltung fordert.
Reiner Wein statt Euphemismen
Und wenn mancher in Deutschland über die Ausrufung des „Spannungsfalles“ nachdenkt, der Notfallgesetze in Kraft setzte und zu einem Ausnahmezustand führte, der härter als jener in den so genannten Corona-Zeiten ausfiele, dann haben wir dringend die Aufgabe, den Kriegstreibern aller Arten das Handwerk zu legen. Möglichkeiten dazu gibt es viele, ein Generalstreik ist eine davon. Komischerweise mokiert man sich in der EU über die Umbenennung des US-amerikanische Verteidigungsministerium in Kriegsministerium, dabei ist das doch die viel ehrlichere Variante, der doch eine wachsende Zahl von europäischen Staaten endlich folgen sollte. Dann könnte man vor deren Toren nochmal viel deutlicher gegen diesen Wahnsinn demonstrieren – denn wer kann schon etwas gegen Verteidigung haben.
Gleiches Recht für alle
Aber die Politiker tun sich mit der Wahrheit äußerst schwer bzw. haben sie aufgrund ihrer finanziellen Ausstattung ja die Möglichkeit, das Recht auf ihre Seite zu ziehen. Die Causa Wöginger, die aktuell mit einer Diversion beendet werden soll, ist eines dieser Beispiele. Da übernimmt einer die Verantwortung und muss 20.000 Euro auf den Tisch legen – und schon ist er rein gewaschen. Sein Amt darf er aber behalten, obwohl er selbst zugegeben hat, dass er sich des Amtsmissbrauchs schuldig gemacht hat. Seine Partei feiert trotzdem seine Unschuld und die Staatsanwaltschaft hat noch knapp 14 Tage Zeit, diesen Entscheid des Erstgerichts anzufechten. Rechtssprechung aber muss dringend der Menschenrechtskonvention angepasst werden, in der als erster Grundsatz die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz gefordert wird.
Existenzberechtigung ohne krankmachende Lebensbedingungen
Auch das Gesundheitssystem liegt im Argen und man versucht nun, Leistungen abzubauen, weil das nötige Geld fehlt. In die Pflicht genommen werden sollen nun alle Bürger, in dem man sie – wenn es nicht anders geht auch auf gesetzlicher Basis – dazu bewegt, gesund zu leben. Dass Stress und Armut aber die Krankmacher Nummer eins sind, darf man nicht laut sagen. Und die sind vor allem dadurch bedingt, dass wir gesellschaftliche Systeme geschaffen haben, in denen es notwendig ist, einer oder mittlerweile sogar schon mehreren Erwerbsarbeiten nachzugehen, um existieren zu dürfen. Also: Neustart auch hier, denn keines dieser Ordnungsprinzipien ist naturgegeben oder gar gottgewollt, sie alle sind menschengemacht und daher jederzeit änderbar.
Da mich noch das eine oder andere bewegt, ich aber nicht gleich volle Kanne ins Haus fallen möchte, lasse ich es für dieses Mal gut sein. Ich hoffe, dass die von mir angesprochenen Erfindungen zu den Herausforderungen unserer Zeit, nicht nur zum Nach- und Weiterdenken oder Kommentieren auffordern, sondern auch zum wirksamen Handeln anregen. Über Rückmeldungen dazu aber auch Informationen über schon bestehende Projekte einer neuen Welt freue ich mich sehr – und werde diese in meinen nächsten Betrachtungen gerne der Öffentlichkeit vorstellen.
Unterstützung für mein Roman-Debüt „Dieser eine Sommer“
Abschließend möchte ich auch noch auf mein Roman-Debüt-Unterfangen „Dieser eine Sommer“ hinweisen. Erste Details dazu sind auf Substack oder im Pareto Space zu finden. Zusätzlich möchte ich eine Idee aufgreifen, die mir kürzlich via E-Mail zugeschickt wurde. Alle, die nicht vorhaben, mein Substack zu abonnieren, können mir ihre materielle Unterstützung gernevia ko-fioder durch eine Überweisung auf mein Konto zukommen lassen (in diesem Fall bitte um eine E-Mail an michael@karjalainen-draeger.report) und werden den Substack-Abonnenten gleich gestellt.
Im übrigen bin ich der Meinung, dass unsere Welt dringend einen WeSet braucht, den wir alle, jeder einzelne von uns, ausgehend vom ganz persönlichen Bereich und von unten nach oben Tag für Tag und Schritt für Schritt zum notwendigen Wandel unserer Lebensbedingungen gestalten.
Bild von Arek Socha auf Pixabay
