Text von Michael Karjalainen-DrÀger
Es war Ende der 1980er-Jahre als ich wieder einmal â wie damals öfter â im Kino saĂ. Wie ich auf den Film âA Man in Loveâ gekommen war, lĂ€sst sich fĂŒr mich heute nicht mehr restlos nachvollziehen. Möglicherweise war es das in dem Streifen gegebene Szenario eines Films im Film. Im Rahmen des Kunstunterrichts an meinem Gymnasium hatten wir einige Jahre zuvor François Truffauts bereits 1973 entstandenes Werk âLa nuit amĂ©ricaineâ gesehen, um uns mit dem Filmemachen vertraut zu machen. In meinem Freundeskreis entstanden in der Oberstufe dann ja auch einige Filme auf Super 8, zu einem durfte ich das Drehbuch schreiben, in zweien spielte ich auch die Hauptrolle. 1981 war auch die Verfilmung des Romans âThe French Lieutenants Womenâ mit Meryl Streep und Jeremy Irons in die Kinos gekommen, wobei auch dieser Film in der Welt der Schauspieler inszeniert wurde, die Fowles Romanze auf den Set bringen. Andererseits könnte mich auch meine Faszination fĂŒr Schriftsteller dazu gefĂŒhrt haben, spielt Peter Coyote an der Seite von Greta Sacchi doch einen Schauspieler, der in die Rolle des italienischen Schriftstellers Cesare Pavese schlĂŒpft.
Die auf diese Weise erfolgte Begegnung mit Pavese, von dem ich vorher noch nie gehört hatte, hatte jedenfalls bis in die Gegenwart reichende Folgen. Der Schriftsteller hat sich am 27. August 1950, am Höhepunkt seiner Karriere, in einem Turiner Hotel im Alter von 42 Jahren mit einer Ăberdosis Schlafmittel das Leben genommen. Sein Abschiedsbrief war kurz aber bedeutend und zwar aus zweierlei GrĂŒnden. Zum einen schrieb er ihn auf sein erklĂ€rtes Lieblingsbuch, die von ihm verfassten âDialoghi con LeucĂČâ, zum anderen beschrieb die Botschaft seine Lebenseinstellung, die ihn letztlich auch zu dieser Tat gefĂŒhrt hatte: âIch verzeihe allen und bitte alle um Verzeihung. Seid ihr zufrieden? Macht nicht zu viel Klatsch!â
Die Sehnsucht nach dem Tod zieht sich durch sein Leben, das in seinem Tagebuch âDas Handwerk des Lebensâ gut dokumentiert ist. âUnd ich weiĂ, daĂ ich fĂŒr immer dazu verdammt bin, bei jedem Hindernis oder Schmerz an Selbstmord zu denken. Das ist es, was mich entsetzt: mein Prinzip ist der Selbstmordâ, heiĂt es da etwa. Und als er 1949 seine Aufzeichnungen beendet, nicht ohne zuvor all seine Werke chronologisch aufgelistet zu haben, schreibt er abschlieĂend: âMeine öffentliche Rolle habe ich gespielt- so gut ich konnte. Ich habe gearbeitet, habe den Menschen Dichtung gegeben, habe das Leid vieler geteilt… Je bestimmter und genauer der Schmerz ist, um so mehr schlĂ€gt der Lebenstrieb um sich und fĂ€llt der Gedanke an Selbstmord…All das ist ekelhaft. Nicht Worte. Eine Geste. Ich werde nicht mehr schreiben.â
Aber es war nicht nur dieses Tagebuch, das ich mir damals nach dem Film gekauft habe, sondern ich versuchte alle seine Werke auf Deutsch zu ergattern, was damals nicht abschlieĂend gelungen ist. Erst kĂŒrzlich bin ich auf sein letztes Werk âDer Mond und die Feuerâ gestoĂen, dass ich online lesen konnte. Und die Dialoge mit Leuco fehlen mir noch immer. Besonders angetan war ich von seinen Gedichten, die ich in der deutschen Ăbersetzung mit dem Titel âHunger nach Einsamkeitâ, gelesen habe. Eine Textstelle schwirrt mir immer noch im Kopf herum, sie lautet: âDer Tod wird kommen und er wird deine Augen haben.â Auch englischsprachige Lyrik findet sich in dem Band, war Pavese doch nach seiner Promotion ĂŒber den amerikanischen Autor Walt Whitman auch als Ăbersetzer u.a. von Melvilles Moby Dick und Werken von James Joyce und Charles Dickens ins Italienische tĂ€tig.
In guter Erinnerung blieb mir eines seiner Gedichte mit dem Titel âLast blues, to be read some dayâ:
âT was only a flirt
*you sure did know -*
someone was hurt
long time ago.
All is the same
time has gone by –
some day you come
some day you’ll die.
Someone has died
long time ago -*
someone who tried
but didnât know.
Sein Prosawerk dreht sich um die gesellschaftlichen Zu- und UmstĂ€nde in seiner Heimat zu seinen Lebzeiten. Der Schriftsteller, 1908 geboren, hat beide Weltkriege erlebt, die Zeit des Faschismus hat ihn 1945 in die Kommunistische Partei Italiens eintreten lassen. Zudem lĂ€sst sich aus seinen Romanen auch sein durchaus kompliziertes VerhĂ€ltnis zum weiblichen Geschlecht herauslesen. Seinen Schreibstil bezeichnet er selbst als âImmagine-Raccontoâ, als Bild-ErzĂ€hlung; seine Ich-ErzĂ€hler beschreiben ihre Gedanken und EindrĂŒcke, in der Handlung wird auch viel aus Erinnerungen geschöpft; fĂŒr manche ist seine Art zu schreiben handlungsarm. An seiner Art zu schreiben fasziniert gerade eben dieses sehr Emotionale, Persönliche und dadurch auch sehr EindrĂŒckliche und Bewegende. Das wirkt viel mehr und viel intensiver nach als die Geschichten, die er in seiner Prosa erzĂ€hlt; und es weckt eine Sehnsucht, seine BĂŒcher noch einmal und noch einmal zu lesen.
Von den Amerikanern â und das kommt in den deutschen Ăbersetzungen leider nicht zum Ausdruck â hat er das Schreiben von Dialogen im Dialekt oder Slang ĂŒbernommen, was fĂŒr die italienische Literatursprache ein Tabubruch war, diese Möglichkeit aber fĂŒr andere, ihm nachfolgende Autoren geöffnet hat.
Es gĂ€be noch viel zu sagen und viel zu schreiben; was aber bleibt ist die Erinnerung an einen Menschen, dessen Leben vordergrĂŒndig von Leiden, Leidenschaft, Einsamkeit und Sehnsucht nach dem Tod geprĂ€gt war. In seinem Werk jedoch geht er seinen Lesern damit nicht auf die Nerven, er hebt seine Protagonisten vielmehr darĂŒber hinaus und geht in seinem Schreiben damit auch einen Weg, den er im realen Leben niemals geschafft hat. Diese Ambivalenz lĂ€sst sich zwischen den Zeilen wahrnehmen, da schreibt einer, der sich möglicherweise nicht so sehr den Tod, sondern ein anderes, besseres Leben gewĂŒnscht hat. Aus dieser Perspektive mag seine Entscheidung, dieses Leben zu beenden, das er fĂŒr erfĂŒllt gehalten hat, gut nachvollziehbar sein.
Live long and prosper, Cesare!
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Cesare Pavese
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