Kennen Sie âDawn of the Deadâ, auch bekannt als âZombieâ? Den Horrorfilm von George A. Romero. Sie wissen schon: der Streifen mit den lebenden Toten, die Menschenfleisch essen (1). Der Film kam 1978 in die Kinos. Nach dem Ende des Vietnamkriegs und ĂŒberstandener Erdölkrise war die Menschheit schon wieder reif fĂŒr den totalen Untergang.
Sparsame Dialoge, finstere Musik, viel Gewalt, Schreie, Blut und BeiĂerei reichten, um das Publikum nachhaltig zu schocken. âZombieâ erreichte Kultstatus. Vielleicht lag es aber auch an der Vielfalt möglicher Interpretationen, die der Film zulieĂ. Die reicht von ekelhafter Verherrlichung des Herrenmenschentums bis zur Antizipation einer groĂen VerĂ€nderung â der Zombie-Revolution. Politisch noch relevanter war Romeros Nachfolgefilm.
Ob es Romero explizit um die Darstellung einer Revolution ging, sei dahingestellt. Dawn of the Dead hat er mit einem sehr kleinen Budget realisiert. Ungenauigkeiten in der politischen Aussage bleiben da nicht aus. 27 Jahre spĂ€ter drehte er Land of the Dead (2). Seine Kasse war besser gefĂŒllt und die Botschaft eindeutig: Es geht um eine Sozialrevolution von ganz unten.
Im Land der Toten
In den blutigen Bewegtbildern des Streifens prĂ€sentiert Romero eine verrohte Zivilisation, die sich nach einer Zombie-Epidemie in die Ăberreste einer Stadt geflĂŒchtet und verschanzt hat. Eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ist entstanden. Die Armen hausen im Ghetto; die Kaste der Reichen, die die Stadt und die Menschen beherrscht, lebt mit viel Komfort in einem Fiddlerâs Green genannten Hochhaus.
Wie selbstverstĂ€ndlich erteilt in dieser Aura emotionaler Dunkelheit die Oberschicht die Befehle und die Ghetto-Bewohner fĂŒhren sie widerspruchslos aus. Sie riskieren alles fĂŒr ein wenig Privileg, um es dann doch nicht nach oben zu schaffen. Die Endprodukte des Raubtierkapitalismus sind in dieser Ordnung allgegenwĂ€rtig: Habgier, Dekadenz und Totalitarismus auf der einen Seite, auf der anderen Seite psychische Verwahrlosung, kultivierter Primitivismus und maximale Entfremdung. Asozial werden frĂŒher oder spĂ€ter alle.
Die Herrscher der urbanen SphĂ€re, die in Fiddlerâs Green residieren, sind Meister der TĂ€uschung, Ablenkung und Verdrehung. Ihre Macht ist auf LĂŒgen, Gewalt und Terror errichtet.
Ihre stĂ€rksten Instrumente zur Stilllegung von Widerspruch und unerwĂŒnschten EmanzipationsgelĂŒsten in den Reihen der Ghetto-Menschen sind groteskes bis barbarisches Entertainment, die Förderung enthemmter SexualitĂ€t und der Rausch. Wer stĂ€ndig bedröhnt ist, seine â den LebensumstĂ€nden geschuldeten â Aggressionen durch wechselnden Geschlechtsverkehr, Onanie oder BrutalitĂ€ten innerhalb seiner sozialen Schicht abbaut und sich kontinuierlich mit Sinnlosigkeiten berieselt, ist fĂŒr die herrschende Klasse keine Bedrohung. DrĂ€ngt ein Ruf nach Freiheit ans Ohr der Herrschaft, sieht es anders aus. Dann lĂ€uten in der Chefetage die Alarmglocken.
An der Spitze der Herrschaftspyramide thront ein von Dennis Hopper (1936 bis 2010) gespielter BĂŒrgermeister. Kaufmann ist sein Name â und der ist Programm. Sein Charakter steht exemplarisch fĂŒr die Herrscherkaste: skrupellos, manipulativ, korrupt. Das Ăbliche ⊠Seine Gegner lĂ€sst Kaufmann auf einer MĂŒllhalde entsorgen.
Hat einer der Beherrschten einen lichten Moment und zieht die Richtigkeit seines Daseins und seine Funktion als Versorger der parasitĂ€r lebenden Oberschicht in Zweifel, wird er mit der blumigen ErzĂ€hlung vom möglichen Aufstieg in die höchste Kaste zurĂŒck ins (sozialpolitische) Koma befördert. Es muss nur getan werden, was erwartet wird: sich anstrengen, Befehle ausfĂŒhren und geduldig sein. Dann wird es schon … Dieser Dreiklang ist der SchlĂŒssel zum vermeintlichen Aufstieg in der Zwei-Klassen-Gesellschaft. Wer zu aufmĂŒpfig ist und die VerhĂ€ltnisse Ă€ndern will, der landet auf dem MĂŒll.
GĂ€be es im Land der Toten HochsicherheitsgefĂ€ngnisse, wĂŒrde Kaufmann sie vermutlich mit Hilfe seiner unabhĂ€ngigen Justiz in einer Zelle lebendig beerdigen. Etwa so, wie man es mit Julian Assange gemacht hat, der die internationale Ăffentlichkeit ĂŒber Kriegsverbrechen der US-Armee informierte.
Der Vergleich ist natĂŒrlich untauglich. Assange hat nach Jahren der Isolationshaft, die der ehemalige Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen, Nils Melzer, als Folter bezeichnete, schlieĂlich einen Zettel unterschrieben, dass er MilitĂ€rgeheimnisse verraten hat und irgendwie schuldig sei. FĂŒr einen Horrorfilm ist das zu unspektakulĂ€r. Um den KinogĂ€nger aus seinem bequemen Sessel zu heben, muss mehr geboten werden â das Blut muss in Strömen flieĂen. Und die Opfer mĂŒssen schreien ⊠jĂ€mmerlich schreien mĂŒssen sie. Anders gesagt: Die cineastischen Fiktionen eines Splatter-Films und die RealitĂ€ten liegen nahe beieinander.
Die armen Zombies
Die Zombies sind eine Klasse fĂŒr sich. Es sind Reflexwesen. Sie sind von der Zivilisation ausgesperrt und torkeln ziemlich planlos durch die nicht minder dystopisch-öde Kulisse von Land of the Dead. Der Hunger nach Menschenfleisch treibt sie an. Es gibt aber noch ein paar wesentliche Unterschiede zu den Stadtmenschen, die regelmĂ€Ăig mit Raubkommandos ausrĂŒcken, um das Umland zu plĂŒndern. Zombies sind Individualisten. Sie machen, was sie wollen, und tun sich gegenseitig nichts an. Trotz ihrer TrĂ€gheit sind sie die Wildnis in Reinkultur. Unbeherrschbar, frei und ohne erkennbar gemeinsames Ziel.
Bei aller GefĂ€hrlichkeit, die jeder einzelne Zombie darstellt, sind die mit der Ziellosigkeit verbundene Unorganisiertheit, ihre Vereinzelung und ihre leichte Ablenkbarkeit entscheidende SchwĂ€chen. Es fehlt ihnen der Fokus â das Klassenbewusstsein.
Die Stadtmenschen nutzen dies geschickt aus. Sie lenken die Untoten mit Feuerwerk ab und machen vereinzelte BeiĂer nieder, die ihnen bei den PlĂŒnderungen im Weg stehen. Das Kinopublikum applaudiert beim Schuss in den Kopf. Denn das Gehirn eines Zombies, auch wenn es nur rudimentĂ€re Aufgaben zu erfĂŒllen scheint, muss zerstört werden, um ihn auszuschalten.
Die Untoten sind eine machtlose Macht. Als koordiniert agierende Masse, die sich auf einen Punkt konzentriert, wĂ€ren sie unaufhaltsam. In Land of the Dead sind nĂ€mlich viel, viel mehr Zombies unterwegs als Lebende. Die sind zwar bis an die ZĂ€hne bewaffnet, hinterlistig und verschlagen, aber was nĂŒtzt es ihnen?!
WĂ€hrend die Lebenden daran glauben, sie könnten etwas verlieren, existieren die Untoten in der Gewissheit, nur etwas gewinnen zu können. Es sind unzĂ€hlige, und Verluste spielen in ihren Reihen keine Rolle. Es gibt fĂŒr sie auch keine moralische Schranke, Regel, emotionale Hemmung oder soziale Bindung, die sie aufhalten kann. Warum auch? Die Zombies sind die UnterdrĂŒckten, die es zu befreien gilt. Die Lebenden, die von der Herrscherkaste unterjocht werden, sind das Werkzeug ihrer UnterdrĂŒckung. Beide Gruppen sind Teil der endlosen Geschichte der Sklaverei â das ist ihre Gemeinsamkeit.
Der letzte Biss
George A. Romero, der die Konturen des sozialen Kampfes, der im Real Life der marktwirtschaftlichen Freiheit tobt, nachzeichnete, hat sich leider fĂŒr einen AnfĂŒhrer entschieden, der die Zombies mobilisiert. Big Daddy wird er genannt. Er ist etwas cleverer als seine BeiĂgenossen. Ein gebildeter Untoter sozusagen, der den lebenden Leichen vermittelt, wie man sich organisiert und den Feind bekĂ€mpft. Das gelingt schlussendlich auch, und die Tyrannei von Fiddlerâs Green versinkt in einem Meer aus Blut. Dabei hĂ€tte die Herrscherkaste ihren Knockout leicht verhindern können: Einfach aufhören zu lĂŒgen, zu betrĂŒgen, zu stehlen und es mit ehrlicher Arbeit zu versuchen. Denn wenn die UnterdrĂŒckten der Herrschaft ĂŒberdrĂŒssig sind, das lehrt nicht nur die Französische Revolution, verlangen sie das Fleisch der anderen.
Aus revolutionĂ€rer Sicht wĂ€re eine basisdemokratische Zombie-Guerilla, zu der die Ghetto-Bewohner in Scharen ĂŒberlaufen, um sich zu infizieren und der Revolution anzuschlieĂen, glaubhafter gewesen als die Fokussierung auf eine FĂŒhrungsfigur. Denn fĂ€llt sie, scheitert die Revolution.
Erst durch die VerbrĂŒderung der UnterdrĂŒckten und Unterjochten werden alle sozialpolitischen MissverstĂ€ndnisse nachhaltig aufgelöst. Aber Hand aufs Herz: Welcher Kinobesucher wĂŒrde einem Untoten schon viel Erfolg beim Befreiungskampf wĂŒnschen? Da ist der Aufschrei schon gröĂer, wenn die Zombies ihre ZĂ€hne ins Fleisch der Lebenden graben, auch wenn es das der UnterdrĂŒcker ist. Darin spiegelt sich die eindimensionale Sichtweise, die sich im Laufe der Soziogenese (3) auf die biologische Festplatte gebrannt hat und weiter kultiviert wird.
Der Soziologe Norbert Elias (1897 bis 1990) machte schon vor ĂŒber 80 Jahren im Zusammenhang mit der Zentralisierung staatlicher Gewalt- und Steuermonopole eine zunehmende Selbstkontrolle des Verhaltens aus. Die Emotionen werden gezĂŒgelt, die Folgen des Handelns abgewogen und bis zur völligen PassivitĂ€t durchdacht.
Ungeachtet der von Elias bemerkten langfristigen VerĂ€nderung der Persönlichkeitsstrukturen, die er nachvollziehbar mit dem Wandel der sozialen Strukturen erklĂ€rte, ist ein ĂŒberdauernder Konstruktionsfehler auszumachen: Die Zivilisationen sind auf Sklaverei und Raub begrĂŒndet.
Sie erneuern zwar bestĂ€ndig ihre technologische, philosophische, soziokulturelle und politische Fassade, aber am Grundprinzip Ă€ndert sich nichts. Aus der Sklaverei der antiken Stadtstaaten und vorchristlichen Gesellschaften wurde die Erwerbsarbeit; aus dem kalten Eisen der Sklavenkette die wĂŒrgende AbhĂ€ngigkeit von Lohn und Gehalt.
William Shakespeare hat Ende des 16. Jahrhunderts in seinem Drama Richard III. völlig ungewollt mit wenigen Worten den Kern eines zivilisatorischen Ăbels beschrieben: âDas wildste Tier kennt doch des Mitleids Regung. ⊠Ich kenne keins, und bin daher kein Tier.â (4) Die Weigerung, anzuerkennen, ein wildes Tier zu sein, das mitleiden kann und nach Freiheit strebt, weil es sonst droht, in Gefangenschaft den Verstand zu verlieren, ist ein Ur-Problem. Das einst freie Tier Mensch ist verblendet. Seine Ketten fĂŒhlt es nicht, die der anderen ignoriert es. Es verneint die Versklavung und verweigert den Ausbruch.
Die Einordnung als winziger Teil des natĂŒrlichen Ganzen ist der SelbstĂŒberschĂ€tzung gewichen. Religiöse Formeln von Ewigkeit und Wiederauferstehung entkoppelten seine Gedankenwelt von der Auseinandersetzung mit dem unbekannten Schicksal und seinem sicheren Tod. Zur Krone der Schöpfung erhoben, wurde das Tier mit seiner Unfreiheit versöhnt, und domestiziert durch Wissen, Erkenntnis und Technik als universelles Lösungsmittel fĂŒr alle Herausforderungen. Seine in der Klassengesellschaft vorgesehene Bestimmung als ausbeutbares Nutzwesen, gegen die es sich in der Industriellen Revolution noch mit HĂ€nden und FĂŒĂen wehrte, hat das âdenkendeâ Tier in der Epoche der Globalisierung endgĂŒltig akzeptiert.
Mit dem Ăbergang in die Digitalgesellschaft ist sie als Eigenwunsch verinnerlicht â der moderne und vernetzte Mensch ist nun final zivilisiert und total ausbeutbar. So wie das Hausschwein, das gehorsam seinem Schlachter folgt. Es lebt in der Illusion von Peace, Love and Liberty ⊠eben fast so wie die Menschen in Land of the Dead kurz vor dem letzten Biss.
Text von: Gunther Sosna
Quellen und Anmerkungen
(1) Zombie (1978): Originaltitel: Dawn of the Dead; Infos auf https://de.wikipedia.org/wiki/Zombie_(Film) (abgerufen am 23.5.2025).
(2) Land of the Dead (2005): Originaltitel: George A. Romeroâs Land of the Dead; Infos auf https://de.wikipedia.org/wiki/Land_of_the_Dead (abgerufen am 23.5.2025).
(3) Norbert Elias: Ăber den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes (Verlag Haus zum Falken, Basel 1939).
(4) William Shakespeare (1597): Richard III; 2. Akt. Auf https://www.projekt-gutenberg.org/shakespr/richard3/rich3-12.html (abgerufen am 23.5.2025).
Hinweis: Das Essay erschien unter anderem bei Manova.news.
Foto: Nathan Dumlao, Unsplash.com